Katarzyna Włoszczyńska

Zum Verlust und Gewinn des Film-Staunens am Übergang zum Digitalen

An kritischen Reflexionen der Digitalisierung des Kinos hat es im filmwissenschaftlichen Diskurs der letzten zwei Jahrzehnte nicht gemangelt. Irritiert vom Wegbrechen der definitorischen Grenzen ihres Gegenstandes, der sich seit dem Formatwechsel nicht mehr über die indexikalische Verbindung zum Vorfilmischen im Aufzeichnungs-automatismus der analogen Kamera bestimmen ließ, trugen nostalgisch pessimistische Stimmen zu einer (durchaus als solches reflektierten) disziplinären Stagnation bei. Ohne den Anspruch eine gegenwärtige Lagebestimmung der Kinematographie oder ihrer Wissenschaft geben zu wollen, versucht der Vortrag eine neue Perspektive auf den Übergang des Films von seiner analogen zur digitalen Existenz einzunehmen. Im Fokus steht dabei der Einfluss des medientechnologischen Faktums des Formatwechsels auf die filmwissenschaftliche Theoriebildung – nicht jedoch im Hinblick auf die Notwendigkeit neuer Begriffe für neue Phänomene, sondern in retrospektiver Erweiterung der filmtheoretischen Kategorien zur Beschreibung des Mediums in seiner analogen Hochphase, die für seine weitere Entwicklung bestimmend wurde.
Der Vortrag wird diesen Einsatz am Konzept des Film-Staunens entfalten, das als anthropomediales Phänomen mit dem Übergang vom Analogen zum Digitalen an sein Ende kommt, aber darin überhaupt erst als filmtheoretische Kategorie greifbar wird. Ist von einem Ende des Staunens im Kino die Rede, dann beklagen Skeptiker des Digitalen, dass uns keine filmische Attraktion mehr überraschen könne, da nun prinzipiell alles in jeder Intensität vom Computer ins Filmbild zu rechnen sei und wir in der Überreizung abstumpfen. In Abgrenzung zur rezeptionsästhetischen Argumentation, die das Kino nur als einen Ort des Staunens unter anderen und das Staunen nur als einen menschlichen Wahrnehmungs- und Affektmodus unter anderen verhandelt, stellt der Vortag die These eines genuinen Film-Staunens zur Diskussion, das sich nicht in reaktiven Konstellationen eindeutig zu bestimmender Subjekte und Objekte des Staunens auflösen lässt. Er nimmt dabei unter Rückgriff auf aktuelle medienanthropologische Positionen, sowie in Auseinandersetzung mit den klassischen Ansätzen des Photogénie und der Organprojektion, eine Reinterpretation der filmtheoriegeschichtlich zentralen Relation zwischen dem menschlichen Blick und dem der kinematographischen Kamera in Richtung einer ausdrücklichen Gleichberechtigung vor. Als aisthetischem Affekt eines sehen Wollens spricht er dem Film-Staunen eine elementare Operativität in der filmischen Bildgenese und eine wechselseitige Generativität in der Beziehung der beiden aufeinander ausgerichteten und aneinander geformten Blicke zu. Wenn mit der umfassenden Berechenbarkeit des digitalen Filmbildes der apparative Blick den anthropomedialen Pakt, in dem er entstanden ist, aufgekündigt, ist diese Verbindung gekappt. So kann fern von cinephiler Nostalgie mit dem Formatwechsel vom analogen zum digitalen Kino ein Ende des Film-Staunens konstatiert werden – was aber seine Diskussion in der vermeidlichen Verspätung seiner Benennung nicht nur nicht obsolet macht, sondern überhaupt erst eröffnet. Denn erst die Rückschau vom Moment seines Verlustes her erschließt seine medienspezifische Operativität und legt es als filmtheoretische Figur frei.
In der Gegenüberstellung der Begriffe ‚Medium’ und ‚Format’ liegt die Gefahr der Anwendung einer simplifizierenden Inhalt/Form-Logik. Vor diesem Hintergrund erweist sich die Befragung des Film-Staunens als aufschlussreich, insofern sie mit dem Wegfall der anthropomedialen Triebfeder in der digitalen Bildgenese einerseits eine grundlegende Veränderung des Mediums postuliert, andererseits seine Tendenz zur hypermimetischen Reproduktion der ästhetischen Erscheinung seiner analogen Vor Bilder reflektiert. Das Format ist keine nachgeordnete Formgebung eines Mediums und gleichzeitig ist letzterem ein formalästhetisches Kontinuitätsbemühen eigen, das einen solchen Anschein erweckt. Mit dieser Reflexion holt der Vortag eine medienhistorische Dimension ein und öffnet sich für die Diskussion von Transformations-dynamiken des Kinematographischen in seiner sog. ‚postkinematographischen’ Phase.

 

Katarzyna Włoszczyńska, M.A., Doktorandin an der Bauhaus-Universität Weimar mit einem Dissertationsprojekt zu medialen Praktiken des re-make und Promotionsstipendiatin der Studienstiftung des deutschen Volkes.
Studium der Medienwissenschaft, Psychologie und Interkulturellen Wirtschaftskommunikation in Jena (Friedrich-Schiller-Universität) sowie der Filmwissenschaft, Philosophie und Kunstgeschichte in Krakau (Uniwersytet Jagielloński). 2011–2013 Lehrtätigkeit (Filmwissenschaft) am Lehrstuhl für Geschichte und Ästhetik der Medien in Jena. 2013–2014 Jahresforschungsstipendiatin am Deutschen Forum für Kunstgeschichte in Paris. Seit 2014 Koordinatorin der AG Medienphilosophie der Gesellschaft für Medienwissenschaft. 2015–2016 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Internationalen Kolleg für Kulturtechnikforschung und Medienphilosophie in Weimar.

Elisa Linseisen

Format-Werden: Hubbles Fernrohr

Der Vortrag möchte anhand der zu etablierenden Kategorie des ‚Denkformats der Hochauflösung‘ das Verhältnis von Medium und Format in den Blick bekommen. Hier wird von einem Medienbegriff ausgegangen, der sich nicht nur in konkreten, historischen Konstellationen erübrigt, sondern gleichsam ein unerschöpfliches Potenzial bereithält, welches die Entwicklungsbereitschaft des Mediums garantiert. Dem ‚Denkformat der Hochauflösung‘ wird dabei eine metrologische Kompetenz zuteil: es macht das Medium in der Verschränkung seiner Konkretisierung und seines Potenzials mess- und damit vergleichbar und anschlussfähig. Anhand der Astronomie als besondere Art einer ‚Bildwissenschaft‘ soll nachvollziehbar werden, dass gerade die digitale Bildgebung eine besondere Relation vom Medium zum Format registrierbar macht. Das ‚Denkformat der Hochauflösung‘ zeichnet sich unter digitalen Vorzeichen als eine Maßeinheit mit eigener ‚Virtualität‘ aus, die konkrete historische Situationen der Medien als hoch komplexe, heterogene Gefüge dokumentiert. Die Virtualität des ‚Denkformats der Hochauflösung‘ durch das Digitale lässt von einem ‚Format-Werden‘ sprechen, das dadurch spezifiziert werden kann, dass es die Komplexität eines ‚Medien-Werdens‘ nur durch verschiedene Formatierungen, im Image Processing einholt. Damit, so die These, werden Medien, in ihren diffundierenden Zuständen, die das Digitale scheinbar heraufbeschwört, stabilisiert und dem Format selbst in seiner prozessierenden Existenz eine Dringlichkeit der medienwissenschaftlichen Auseinandersetzung zugestanden.

 

Elisa Linseisen ist seit Oktober 2014 wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Professur für Filmwissenschaft mit dem Schwerpunkt Filmtheorie und Filmästhetik am Institut für Medienwissenschaft der Ruhr-Universität Bochum. Seit April 2017 ist sie außerdem wissenschaftliche Mitarbeiterin des Teilprojekts „mimetische Existenzweisen“ der DFG-Forschergruppe „Medien und Mimesis“ (FOR 1867), wo sie davor für ein Jahr als Koordinatorin tätig war. Von 2008 bis 2013 studierte sie Neuere deutsche Literatur, Politologie und Germanistische Linguistik an der Ludwig-Maximilians-Universität München mit einer Magisterarbeit zum 3D-Film, die unter dem Titel „3D. Filmisches Denken einer Unmöglichkeit“ 2014 publiziert wurde. Auswahl weiterer Publikationen: Meet my Data in Limbo. Dividuelle Begegnungen als selbstdokumentarische Geste von Webdokumentationen. In: Fahle, Ochsner, Wiehl (Hg.): Augenblick. Konstanzer Hefte zur Medienwissenschaft, 1/2016; Ludogénie. Latenz des Computerbildes in Beyond two Souls. In: Schlicker, Schellong, Unterhuber (Hg.): Nach dem Kino – vor dem Spiel. Das Computerspielwerk von David Cage und die Medienkultur, 2017 (im Erscheinen) (zusammen mit Oliver Fahle).